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Alexander Rückert 9. Oktober 2009 0 Comments 4 Minuten Lesezeit

USA überwacht Blogs

Weblogs haben in den USA einen weiteren Schritt in Richtung anerkanntes, reguläres Medium getan – auch wenn der für manche nicht angenehm wird: Ab sofort stehen Blogs unter Gewerbeaufsicht, müssen Geldflüsse und Geschenke offenlegen. Verstöße werden mit bis zu 11.000 Dollar Strafe geahndet.

Vom 1. Dezember an dürfen sich Blogger und die Betreiber von Social-Network-Seiten in den USA ein gehöriges Stückchen anerkannter und ernstgenommener fühlen: Rund ein Jahrzehnt, nachdem politische Parteien und Unternehmen begannen, solche Web-Angebote als neue Medienformen zu begreifen, hat nun auch der Gesetzgeber entsprechend reagiert. Die amerikanische Gewerbeaufsicht Federal Trade Commission FTC stellt Blogs und Networks unter die gleiche Art von Beobachtung, bindet sie an dieselben Regeln wie bisher schon Presse und Rundfunk.

Bloggen steht unter Generalverdacht 🙂

Im Grunde ist das eine Aufwertung in der öffentlichen Wahrnehmung – allerdings eine mit Nebenwirkungen, die die Blogosphäre in den USA derzeit nicht gerade in Sektlaune feiert. Den Blogs wurden mit den neuen Regeln fraglos Freiheiten genommen.

Sie müssen künftig offenlegen, wer da wem was zusteckt, um die Arbeit zu unterstützen oder zu refinanzieren – oder im ungünstigsten Fall Einfluss zu nehmen auf die Berichterstattung. Denn genau darum geht es der FTC: Immer mehr Blogs besprechen Produkte, und hier und da fließen dafür Gelder oder Sachleistungen. Es gibt auch in Sozialen Netzwerken hoch informative und populäre Profilseiten, die in Wahrheit von Marketingagenturen betrieben werden. Hinter so manchem Angebot steckt nichts als Schleichwerbung. In den Medien wären das skandalöse Verfehlungen, die natürlich vorkommen, aber auch geahndet werden, wenn sie bekannt werden.

Es ist nicht alles Gold, was bloggt

Vorsicht beim Bloggen!

Im Web herrschte da lange Zeit Narrenfreiheit: Was “Blog” heißt, genießt den Vertrauensvorschuss der Community. Dass aber Blogs durchaus nicht von Haus aus integrer als die so oft gescholtenen kommerziellen Medien sind, ist eine Binse: Erfolgreiche Blogger kassieren seit Jahren, und längst nicht nur für die sichtbare Werbung, sondern auch als Unternehmensberater oder – mitunter verdeckte – Werber. In den USA sammelte die Verbraucherschutzorganisation Consumers Union über Jahre Fälle von Verfehlungen und machte sie öffentlich, bis ihr das Geld dafür ausging: In den Archiven finden sich Fälle wie der vom einflussreichen Musikblog, zu dessen Geschäftsmodell es gehörte, von jedem Musiker 20 Dollar zu kassieren, der eine CD einschicken wollte, um sie besprechen zu lassen.

Jetzt müssen Blogger und Networks öffentlich machen, wenn solche Leistungen fließen. Verstöße werden mit Geldstrafen bis zu 11.000 Dollar pro Fall geahndet. Das erwähnte Musikblog könnte also sogar auch unter den neuen Regeln weiter für redaktionelle Leistungen kassieren: Es müsste diese Information – “diese Rezension wurde mit 20 Dollar bezahlt” – nur veröffentlichen. Laut FTC will die Behörde mit den neuen Regeln nur die “Prinzipien der Transparenz und Ehrlichkeit” im kommunizierten Marketing auf neue, zunehmend wichtige mediale Ausdrucksformen übertragen.

Die FTC definiert ihre Regeln im Umgang mit Medien damit zum ersten Mal seit 30 Jahren neu. Es ist eine überfällige Anpassung an neue Zeiten, die auch die Definition von dem, was “Medium” eigentlich bedeutet, verändert. In den Hintergrund rücken nun Organisationsstrukturen und Vertriebswege. Maßgeblich wird der Multiplikator: Wer – auf welchen Wegen auch immer – kommuniziert und damit ein Massenpublikum erreicht, ist in den Augen der FTC-Prüfer künftig “Medium”.

Egal, ob Perez oder Paris

Da ist es nur konsequent, dass die neuen Regeln auch für Prominente gelten sollen. Ein Medium ist künftig nicht nur das Blog von Perez Hilton, sondern auch die wandelnde Design-Modeshow Paris Hilton, wenn sie als schicke getarnte Litfaßsäule unterwegs ist. Auch sie müsste möglicherweise künftig öffentlich machen, wenn ihr Klamotten, die sie in die Medien trägt, gesponsert wurden. Auf jeden Fall aber ist das so, wenn Unternehmen dafür zahlen, dass irgendwelche hippen Pop-Ikonen ihre Waren nutzen und demonstrativ zur Schau stellen.

In Abwandlung der alten Marshal-McLuhan-Regel heißt es nun also: “Der Multiplikator ist das Medium.”

Das Echo: Von Zensurrufen bis Beifall

Das Echo auf die neuen Regeln in der Blogosphäre ist vielfältig. Jeff Jarvis, einer der Propheten eines Web-induzierten Medienwandels, wittert eine drohende Zensur der Blogosphäre. Für verfehlt hält er die Regularien schon deshalb, weil in seiner Sicht Blogs nicht etwa Medien seien, sondern kommunikativer Raum. Das ist ein wenig Realsatire, wenn man bedenkt, dass Jarvis sein Blog durchaus als Medium in eigener Sache führt und sich von der gar nicht privaten Kommunikation über das angebliche Nicht-Medium Blog sehr erklecklich ernährt.

Trotzdem: Man kann das so sehen, denn die Grenzen sind wirklich fließend. Das Gros der Blogs sind Hobby-Unternehmungen, wenig mehr als Kommunikation in relativ geschlossenen Peer-Groups. Einflussreiche Web-Destinationen wie TechCrunch oder BoingBoing sind dagegen längst veritable Medienunternehmen mit professionellen Strukturen, die mit Blogs allenfalls noch gestalterisch etwas zu tun haben. Das ist die Spannbreite des Phänomens Weblog: Es reicht vom “Tagebuch”, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheint, bis zur Website, die Millionen erreicht. Die Behörde macht hier keinen Unterschied.

Hosen runter, liebe Schleichwerber

Höchst unterschiedlich fallen die Urteile darüber in Blogs aus. Das reicht vom Snooper Report, der der FTC mit sehr viel Schaum vor dem Mund verfassungsfeindliches Handeln und den Willen unterstellt, unliebsame Blogs auf diesem Weg zu schließen, bis zu selbstbewussten Stimmen wie Atlanta on the Cheap, ein sehr kommerzielles Schnäppchenblog, das den Gedanken der Transparenz schätzt. Die Argumentation der Bloggerin Jennifer Maciejewski besticht: Ihr Blog sei nicht betroffen, weil es keine verdeckten Zahlungen annehme. Was kommerziell sei, werde offen so kommuniziert. Ansonsten versuche sie, sich in ihrer Publikation an die Gesetze und Anstandsregeln zu halten, die auch für andere Medien gelten.

Ihr Fazit: “Einige Blogs werden deshalb sterben oder zumindest erheblich umstrukturiert werden. Meiner (nicht gesponserten) Meinung nach ist das gut so. Ich hasse Blogs, die unter dem Strich nichts als verdeckte bezahlte Werbung sind.”

Kann man das ernsthaft anders sehen? Und zwar egal, ob ein Blog nun vor allem kommunikativer Raum ist, wie Jarvis meint, oder Medium, wie die FTC das nun grundsätzlich sieht. Auch wenn jemand nur in einem semi-privaten Raum mit mir elektronisch kommuniziert, wüsste ich als Leser und Kommunikant ganz gern, ob der dafür von jemandem bezahlt wird oder nicht, mir Dinge zu empfehlen. Der Witz ist ja: Wer nicht geschmiert wird, hat nichts offenzulegen. Der Glaubwürdigkeit solcher Blogs wird das nützen. Dass die anderen ihre dagegen verlieren, ist überfällig.

Quelle: spiegel.de

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